Caritas-Frühjahrssammlung

Not, die betroffen macht

AUGSBURG – Die Caritasverbände für die (Erz-)Diözesen Augsburg, Bamberg und Würzburg wollen mit der Plakatkampagne für die Caritas-Frühjahrssammlung 2022 provozieren.  

Auf schwarzem Hintergrund steht in Kinderschrift der harte Satz geschrieben: „Das Leben ist eine einzige Sch…“. Jeder weiß sofort, was damit gemeint ist. Unter dem Satz wird darauf hingewiesen, dass ein neunjähriges Kind suchtkranker Eltern dies gesagt habe. Dann folgt wie ein Hammerschlag der Ausruf „Auch das ist Realität!“ Eine ungewöhnliche Werbung für die Caritassammlung, hat man doch immer mit einem Motto für die Spendenaktion der katholischen Caritas geworben, das direkt mit positiv besetzten Worten für Solidarität warb. Der Direktor des Caritasverbands für die Diözese Augsburg, Domkapitular Andreas Magg, äußert sich dazu im Interview:

Herr Magg, wer das Plakat zur Spendenkampagne der Caritas im Bistum Augsburg im Frühjahr 2022 zum ersten Mal sieht, ist wohl etwas irritiert. Warum setzt die Caritas im Bistum – zumindest auf den ersten Blick – auf eine negative Botschaft?

Eins vorweg: Das Plakatmotiv mit schwarzem Hintergrund mit diesem drastischen Satz aus dem Munde eines Kindes ist gemeinsam mit dem Caritasverband für die Erzdiözese Bamberg entwickelt worden. Es stimmt, wir wollen provozieren, die Öffentlichkeit herausfordern, sich der Wirklichkeit zu stellen, wie sie viele Menschen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, auch ältere Menschen erleben. Und gleichzeitig wollen wir mit dieser drastischen Sprache die Öffentlichkeit darauf hinstoßen, unter welchen sozialen, wirtschaftlichen, aber auch psychischen Belastungen die Menschen leiden, für die die Caritas Hilfen ganz unterschiedlicher Art bereitstellt. 

 

Gehört denn das nicht zum Grundwissen über die Caritas?

Ja und nein. Wenn wir über die gesamte Bandbreite der Arbeit der Caritas und der Problemlagen der Menschen, die zu uns kommen, bei Veranstaltungen sprechen, hören wir immer wieder: „Das habe ich gar nicht gewusst.“ Deshalb durchbrechen wir dieses Mal die Grundgestaltung unserer Plakate. Wir wollen den Blick in den Pfarrgemeinden, aber auch in der Öffentlichkeit weiten. Die Not von Menschen geht weit über Krankheit, altersbedingte Gebrechlichkeit, wirtschaftliche Not und Armut hinaus. 

 

Welche Geschichte verbirgt sich hinter dieser Plakatgestaltung?

Es geht um ein neunjähriges Kind. Beide Eltern sind suchtkrank. Dadurch gibt es für das Kind keine Stabilität im Alltag. Das Kind ist durchgängig emotional und psychisch völlig überlastet und von diesen speziellen Anforderungen auch überfordert. Das ist keine Kindheit mehr, das ist purer Stress. Dieses Kind hat in einer Caritas-Gruppe an einer Kunsttherapie teilgenommen und sich dabei wohl zum ersten Mal getraut, zum Ausdruck zu bringen, wie es sein Leben empfindet. Als ich dieses „Bild“ sah, schwarz grundiert und dann die Zeilen „Das Leben ist eine einzige Sch(eiße)!“ war ich geschockt. Was müssen Kinder in unserer Gesellschaft aushalten? Das ist leider kein Einzelfall. 2,6 Millio­nen Kinder in Deutschland leben in suchtbelasteten Familien. Wenn wir hier nicht mithelfen mit anderen, dann wird diese Not nicht nur größer, sondern sie wiederholt sich immer wieder. 

 

Für einen kirchlichen Verband ist die Sprache dennoch ungewöhnlich. 

Das stimmt. Aber, so fragte ich mich, ist es denn nicht unsere Aufgabe als Christen, die Finger in die Wunden unserer Gesellschaft zu legen? Und das können wir nur, wenn wir auch den Mut haben, uns im Vertrauen auf Jesus Christus der harten Wirklichkeit zu stellen. Denn nur dann spüren von Leid und Not betroffene Menschen, dass wir sie ernst nehmen. Und nur dann können wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin machen, wo das Leben wieder heller und besser wird. Papst Franziskus fordert uns Christen auch immer wieder dazu auf, zu den Kranken, den Ausgeschlossenen, den Armen zu gehen und vor deren Not nicht zurückzuweichen. Das dürfen wir nicht, und als Caritas tun wir das auch nicht. Unsere Kirche lehrt ja, dass auch im geschundenen leidenden Antlitz eines Kindes uns Christus selbst begegnet. Wir als Kirche dürfen deshalb nicht davor zurückschrecken, auf die Not von Menschen auch mit drastischen Worten hinzuweisen und den Blick der Öffentlichkeit darauf hin zu lenken. 

Wie kann die Pfarrgemeinde hier mithelfen?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, die Caritas-Sammlungsaktion zu unterstützen, denn ohne sie könnte die Caritas als Verband viele unterschiedliche Hilfen nicht leisten. Die zweite Möglichkeit besteht darin, achtsam für die Not und die sozialen Herausforderungen vor Ort zu sein. Ein Drittel der Spenden aus der Caritassammlung verbleibt ja in den Pfarrgemeinden. Gemeinsam mit der Bischöflichen Finanzkammer haben wir als Caritasverband für die Diözese Augsburg die Bestimmungen für die Caritassammlung völlig überarbeitet. Wir schaffen damit den Pfarrgemeinden deutlich mehr und vielfältigere Möglichkeiten, vor Ort auf die sozialen Herausforderungen einzugehen. Wir hoffen, damit den kirchlichen Grunddienst der Caritas in den Pfarrgemeinden stärken zu können.

Interview: Bernhard Gattner

20.02.2022 - Bistum Augsburg , Hilfswerke